IDM-Story: Ein Wochenende als Gespannpraktikant

Ein Gastbeitrag von Marcus Gerzack*
Ein Rennwochenende an der Boxenmauer begann nicht erst mit dem ersten Training. Nein, bereits daheim ging es für ein Gespannteam in die Planungen und Vorbereitungen auf das Rennwochenende. Natürlich fragten wir uns, was wir verbessern können und was man aus den anderen Rennen gelernt hat. Und auch wenn ein Wochenende gut lief, fand man doch immer wieder eine Möglichkeit etwas an der Technik am Gespann oder als Fahrer zu verbessern.
Manchmal ist es auch krankhaft ehrgeizig, denn nach dem Rennen wurde in der heimischen Werkstatt das Gespann kontrolliert, geputzt und fürs nächste Rennen hergerichtet. Besonders mein Umfeld merkte immer sehr schnell wann es bei mir „soweit war“. Schon wenn die Rennwoche begann, fiel ich ab mittwochs laut meiner Freundin in den Motorsportmodus und alles andere war unwichtig.
Mit der Anreise am Donnerstag stieg natürlich die Aufregung. Doch zunächst hieß es, wie für jeden im Fahrerlager, mit den Vorbereitungen zu beginnen. Zeltaufbau, das Zelt einrichten, Mechaniker-Unterlagen fürs Wochenende herrichten, das sind alles kleine Aufgaben die getan werden müssen, bevor man den Abend ausklingen lassen konnte. Denn meist waren wir mit den Sidecars recht früh dran mit den freien Trainings am Freitag.
Nach einem guten Frühstück, was für mich oftmals nur aus Kaffee und Kippe bestand, kümmerte ich mich um die Reifen und schaute gemeinsam mit meinem Team was gefahren wird und in welchem Training, wir welche Reifen nutzen wollten. In Absprache legten wir das gesamte Trainingsprogramm fest. Dabei war kein Wochenende gleich, jedes hatte seine eigenen Gesetze und jedes mal war man natürlich angespannt.
Besonders kurz vor jeder Fahrt in Richtung Vorstart stieg noch einmal die Anspannung und ich überlegte, dass ich hoffentlich nichts vergessen hatte, der Reifenwagen richtig gepackt ist und oft erwischte ich mich dabei, jede Schraube, die man in der Hand hatte im Kopf nochmal nachzukontrollieren.
Die Jungs drehten ihre Runden und ich starrte fast in Trance auf den Zeitmonitor und beobachtete die Sektoren. Beim Vorbeifahren hörte ich zehnmal genauer hin. Nix aussergewöhnliches? Schnurrt. Also war alles ok. Sobald das Gespann dann in die Box kam, setzte im Team der Automatismus an. Alles ging wie von allein und wie hundertmal zuvor: Trinkflasche, Temperaturmessgerät und Luftdruckprüfer waren stets zur Hand, um die Arbeit schnell erledigen zu können und nicht zuviel wertvolle Trainingszeit zu verlieren.
Nach dem Training kam im besten Fall nicht viel Arbeit auf einen zu: Verkleidung, Reifen reinigen, das Gespann kontrollieren, Nachbesprechung und vorbereiten für die nächste Sitzung. Eigentlich wie bei den Profis.
Abends gab es auch mal das ein oder andere Kaltgetränk und man erkundigte sich im Fahrerlager wie der Tag bei den anderen lief.
Samstag ist dann wieder eine Steigerung mit dem Quali und dem ersten Rennen. Wenn die Jungs hundert oder hundertzehn Prozent auf der Strecke gaben, dann galt das auch für mich in der Boxengasse. Volle Konzentration auf die Arbeit auch wenn im Quali eigentlich keine Arbeiten anfielen, da vorher festgelegt wurde wie gefahren wird. Und wenn alles perfekt lief, dann hatte man die der Pole- Position inne. Doch wenn es nicht geklappt hatte, dann wurde geredet und die Fehler analysiert.
Nun könnte man denken, dass es vor einem Rennen noch einmal hektischer zu geht, aber genau das Gegenteil war der Fall: denn während die Jungs im Bus ruhten, hatte ich als Mechaniker die Möglichkeit meine Pause genießen zu können und so streifte ich manchmal durch das Fahrerlager oder schaute mir die anderen Klassen an.
Doch ganz kurz vor dem Rennen war die Unruhe dann wieder zurück, der Puls stieg und die Anspannung machte sich breit. Reifen drauf, Gespann runter, warm laufen lassen, Verkleidung drauf. Meist wurde es etwas ruhiger im Zelt und jeder erledigte seine Aufgabe. Wenn die Jungs dann zum Vorstart rollten, warteten wir meist schon an der Boxenmauer und legten alles nötige für das Rennen zurecht.
Kurz noch in die Startaufstellung und kurzer Check am Gespann. Den Jungs alles erdenkliche wünschen fürs Rennen und ab in die Boxengasse. Das ist der Zeitpunkt wo alles andere auf der Welt unwichtig wurde, denn ich fixierte nur noch die Ampel und achtete darauf, wie die Jungs wegkamen.
Erste Kurve, alles passt, Position gehalten. Ab an die Mauer Zeitenmonitor an und Augen drauf. Erster Sektor, zweiter Sektor, Vorsprung ausgebaut (Faust gemacht). Zeitentafel für die Jungs hergerichtet und gewartet bis sie über die Linie kommen. Tafel raus und die Faust zum Anfeuern hinterher. Wieder die Augen auf den Monitor. Scheiße im zweiten Sektor Fehler gehabt, Vorsprung dahin. Kleiner Wutanfall und Tafel raus.
Läuft, Vorsprung ausgebaut bzw gehalten.
In der letzten Runde hieß es Schwitzen und Beten, dass das Gespann hält, kein Fehler mehr Jungs. Augen in die letzte Kurve, Streckensprecher zugehört, Monitor im Auge und dann der geilste Moment, wenn man sah, dass es gereicht hat und es all die Arbeit und Mühe Wert war. Alle Anspannung fiel von einem ab und ich freute mich, dass die Jungs heil wieder zurückgekommen waren. Der zweite Gedanke war dann schon beim verdienten Bier und dem Sekt der Siegerehrung.
Danach ging es zurück ins Zelt und es wurde über die Geschehnisse vom Rennen geredet und die Vorbereitungen fürs Rennen am Sonntag gingen sofort wieder los.
Der Sonntag wurde meist weniger hektisch begonnen, da alle Arbeiten erledigt waren und die Gespanne oft erst zum Schluß dran waren. Somit blieb genug Zeit sich die Rennen der anderen Klassen anzusehen oder sich mit interessierten Zuschauern zu unterhalten und während die Jungs noch schnell Fotos machten oder Autogramme gaben, lief im Hintergrund schon wieder der Rennmodus an: alles kontrollieren, Reifen drauf, warm laufen, Verkleidung drauf und anschließend ab an die Strecke.
Dann hieß es wieder 15 Runden fiebern, Boxentafel raushalten, ins Gespann hören, Anfeuern und am Ende sich über ein optimale Wochenende freuen, wenn man 50 Punkte mit nach Hause nehmen konnte.
*Seit Mitte 2016 begleitete Marcus Gerzack das AKW Kretzer Racing in der Internationalen Deutschen Meisterschaft der Seitenwagen. Als Handlager erhielt er Einblicke, wie ein Rennwochenende in einem Gespannteam abläuft. Angefangen von einfachen Aufgaben wie Bus waschen und gar Stiefel putzen kam der 40-Jährige schnell seiner eigentlichen Leidenschaft, dem Schrauben nahe und zählte damit bis heute zur treuen helfenden Seele in diesem Team. In diesem Jahr legt das AKW Kretzer Racing-Team eine kleine Pause ein, damit sich Fahrer Andre Kretzer ganz um seinen Nachwuchs kümmern kann. Der „Gespannpraktikant“ wird aber auch weiterhin im Fahrerlager der Seitenwagenszene zu sehen sein.
Text: Marcus Gerzack // Doreen Müller-Uhlig
Fotos: Privatarchiv Marcus Gerzack
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