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Exklusiv-Interview: Marcel Schrötter wehrt sich

Für Liqui Moly Intact GP-Pilot Marcel Schrötter war der Saisonstart in diesem Jahr eine echte Herausforderung. Gerade mal 13 Tage nach einem Sturz in Portimao bei dem er sich die linke Hand brach, saß er beim WM-Auftakt in Katar wieder auf der Maschine und fuhr im Rennen bis auf Platz 10 vor. In Amerika und Portugal holte sich der einzige deutschem WM-Stammfahrer im Feld anschließend mit jeweils Platz 4 sein bisher bestes Saison-Ergebnis, auch im letzten Moto2-Rennen in Barcelona war der 29-Jährige ganz vorn in der Spitzengruppe dabei. Beim Heimgrandprix am Sachsenring möchte Marcel Schrötter nun den nächsten Schritt nach vorn machen und träumt von seinem ersten Sieg in der Moto2.

Dein Saisonstart stand aufgrund der Handverletzung in diesem Jahr unter sehr schwierigen Vorzeichen. Wie bewertest Du Deinen Saisonverlauf 2022 seitdem?
Marcel: „Unter den Umständen, die gerade angesprochen worden sind, war es natürlich kein Saisonstart wie erhofft. Bei dem Wintertest habe ich mich sehr wohlgefühlt, dann kam die Verletzung dazu, was das Ganze nicht perfekt gemacht hat. Gemessen an den Umständen war der 10. Platz in Katar jedoch solide. Die Überseerennen waren wiederum nicht so wie wir erwartet haben, obwohl meine Verletzung besser geworden ist, waren die Ergebnisse zunächst schlechter. Wir haben jedoch die Ursache entdeckt und konnten uns wieder in die richtige Richtung arbeiten. Seitdem ging es stetig bergauf. Klar waren auch Rennen dabei, wo das Glück auf unserer Seite war. Das gehört dazu, aber insgesamt gesehen geht es seit Portugal für uns in die richtige Richtung und ich fühle mich mit jedem Wochenende besser.“

Der größte Gegner scheint für Dich nach wie vor das Qualifying zu sein. Bisher war dort in diesem Jahr vieles schiefgelaufen. Was waren aus Deiner Sicht bisher die Ursachen hierfür?
Marcel: „Tatsächlich waren es in diesem Jahr oft Situationen, wo nichts funktioniert hat, was ich mir vorher an Strategien überlegt hatte. Wir hatten den Plan, mit einer Gruppe zu fahren, wo es auch Sinn ergibt, dabei zu sein, aber es gab immer wieder abgebrochene Runden und gelbe Flaggen durch andere Fahrer. Dies führte uns in Situationen, wo man zu den letzten drei Minuten des Trainings kommt und noch nicht mal eine richtige Runde gefahren ist und gerade so noch eine Rundenzeit hat. Das war bisher sehr schwierig. Ich fühle mich zwar um einiges wohler auf dem Motorrad als in den letzten Jahren, aber mir gelingt es nicht den Kopf auszuschalten und instinktiv locker zu fahren. Ich tue mich an dieser Stelle noch schwer über den Punkt zu gehen, wo ich so schnell fahren kann, wie ich in den Trainings fahre.“

Wie schwer ist es für Dich, nach solchen Situationen – wie nach den Qualifyings oder nach einem Rennen, was nicht gut gelaufen ist, mit Kritikern umzugehen, die sich die Frage stellen, wie Deine weitere Karriere in der Weltmeisterschaft aussieht?
Marcel: „Als Person im öffentlichen Leben hat man immer Menschen, die einem etwas nicht gönnen und negativ eingestellt sind. Das bringt der Sport und dieses Leben mit sich. Ich weiß jedoch, was ich kann und was noch vor mir stehen kann. Das ist das wichtigste. Die Mehrzahl der Leute, die mich verfolgen, steht hinter mir. Natürlich wünschen wir uns bessere Ergebnisse, wir wollen alle gewinnen und alle Weltmeister werden, aber das geht halt nicht immer! Wir sind nicht im Hobbybereich, sondern in der Weltklasse unterwegs! Da sollte man auch einmal stolz sein, wenn ein sechster Platz für den einzigen deutschen Fahrer in der WM rauskommt, als ihn schlecht zu machen, weil er „nur“ Sechster wird. Das ist die falsche Einstellung! Ich versuche sowas auch nicht mehr nah an mich heranzulassen. Natürlich bin ich realistisch und weiß, dass auch Ergebnisse kommen müssen, aber letztlich habe ich dennoch einen Traum.“

Was macht das mit Dir, nach wie vor der einzige deutsche Stammfahrer in der Motorrad-WM zu sein?
Marcel: „Auf der einen Seite ist es schon etwas Besonderes, der einzige deutsche Fahrer zu sein, aber es hat mehr Nachteile wie Vorteile, weil dementsprechend wenig wird unser Sport vermarktet und verbreitet im eigenen Land. Wenn aus jeder Ecke von Deutschland jemand in der WM fahren würde und diese Region würde den Sport wirklich intensiv verfolgen, würde dies dem Motorsport generell guttun. Und wie ich es bereits angesprochen habe, wenn es gut läuft, ist jeder da und wenn es nicht gut läuft, zeigt man mit dem Finger auf einen. Das zeigt aber auch, wie schwierig es ist für Deutsche guten Nachwuchs hervorzubringen, während in anderen Ländern jedes Jahr 5–10 neue Talente parat stehen.“


Wie betrachtest Du in diesem Zusammenhang die Entwicklung im deutschen Motorradrennsport?
Marcel: „Das ist schwierig für mich zu beurteilen, da ich in den letzten Jahren natürlich schauen musste, wie meine WM-Karriere läuft. Ich will das auch nicht beurteilen. Es ist jedoch grundsätzlich schwer, wenn man nicht so die Trainingsmöglichkeiten hat wie in anderen Ländern. In meiner Gegend gibt es z. B. nur eine Gokartbahn in der Nähe und eine, die über zweieinhalb Stunden weg ist, wo bis vor 2 Jahren noch keine Zweiräder erlaubt waren. Wie soll der Papa mit seinem Kind da Moped fahren üben oder es einfach ausprobieren können? Und wenn dann wirkliche Talente da sind, fehlt ein Verbund, der die Person fördert, bis sie so weit ist, dass sie bis nach Spanien kommt und auf dem Material fahren kann, wo man sich beweisen kann. Das Problem ist, dass an dem Punkt wo es dann teuer wird, jeder wieder allein gelassen wird. Eigentlich müssten die wirklichen Talente bis zur Vorstufe zur WM begleitet werden.“

Wie hat sich aus Deiner Sicht der Motorsport in den letzten Jahren verändert, seitdem Du 2008 Dein erstes WM-Rennen am Sachsenring bestritten hast?
Marcel: „Der größte Unterschied ist, dass heute alles in den sozialen Medien stattfindet. Der Fan und der Kritiker, alle stehen viel direkter in Verbindung. Manche verhalten sich deswegen vielleicht schon im jungen Alter als wenn sie schon Valentino Rossi wären. Vor vielen Jahren war das ganze Mediendrumherum nicht so groß, man war erst einmal in Spanien, weit weg von daheim. Das war auch ein großer Schritt für mich damals gewesen. Jetzt hat man aber das Gefühl, man ist nie weit weg von allem und muss sich immer überlegen, was man gerade postet. Früher war man nur im Team unterwegs und ist einfach Motorrad gefahren. Das hat sich sehr verändert.“


Was fasziniert Dich bis heute am Motorradrennsport und was war für Dich die wichtigsten Erfahrungen, die der Motorsport Dir mitgegeben hat?
Marcel: „Nach wie vor die Leidenschaft. Ich fahre Motorradrennen, weil es seit Jahren das geilste ist, was es für mich gibt. Damit sein Geld zu verdienen und sein Leben so zu leben, ist ein wahnsinniges Glück für mich. Natürlich gibt es auch Momente, wo es schön wäre, dass man nicht in der Öffentlichkeit steht und nicht der Profisportler ist, aber dafür kann ich das machen, was mir nach wie vor Spaß macht. Und wie Jack Miller zu mir sagt, wenn es mal nicht so gut läuft: „Ein Scheißtag hier, ist immer noch besser als ein Scheißtag daheim auf der Arbeit“, und da hat er auch recht. Solange wir hier sein dürfen und unser Geld damit verdienen dürfen Motorrad zu fahren, ist das ein wahnsinniges Privileg und etwas, was mich nach wie vor mit antreibt. Und natürlich lernt man auch viel für das Leben, vor allem aus den Up-and-Downs. Immer wieder aufstehen zu müssen, lehrt einem sehr viel mentale Stärke, auch für später. Das Reisen und die Möglichkeit Kulturen und die Welt kennenzulernen, all das sind so Sachen, die andere Menschen vielleicht nicht erleben dürfen.“


Was sind Deine persönlichen Erwartungen für das Heimrennen am Sachsenring und worauf freust Du Dich am meisten?
Marcel: „Der Sachsenring lebt von den Fans und der Nähe zu ihnen. Das macht das ganze Wochenende besonders. Natürlich möchte ich auf dem Podium stehen! Es wäre nicht nur wichtig, sondern auch ein schönes Gefühl und ein Highlight. Ich habe das Gefühl wir können ganz vorn mitfahren und kommen Mal zu Mal näher. Auf dem Sachsenring, wo ich mich generell wohlfühle ganz vorn mitzufahren und sogar einen Sieg einzufahren, wäre für mich etwas ganz Besonderes. Da ich dort die Unterstützung meiner Fans habe und auch sehr viele Leute kommen, die ich kenne, möchte man natürlich umso mehr ein schönes Ergebnis haben.“

Text: Doreen Müller-Uhlig

Foto: gp-photo.de / Ronny Lekl

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