Sprechstunde Dr. Frühling: Ist Gespannsport nur etwas für alte Männer?

Hallo, ich seh auf den Bildern immer nur alte Männer. Ist das normal? Ist Sidecar Racing nur was für Alte Männer?
Hallihallo,
autsch, das kratzt direkt mehrfach am Ego. Da kommste frisch vom Training, fühlst dich (wieder) gut, denkst, die Welt gehört dir, und dann, zack, Luft aus dem Ego gelassen. Wir sind alt.
Tja, ganz von der Hand zu weisen ist das allerdings nicht. Das Durchschnittsalter der Gespannteams bis hoch in die Spitzenklassen ist durchaus einiges höher als das Alter der Motorradcracks. Der jüngere Teil sitzt normalerweise auf der Platte. Oft genug ist der Fahrer entweder vorher selber als Beifahrer mitgefahren, bevor er den Lenker erobert hat, oder er kommt aus dem Solo-Bereich in den vermeintlich ruhigeren Gespannsport, für neue Herausforderungen, oder weil der ja weniger anstrengend ist. (Ja, habe ich genau so erklärt bekommen). Bei vielen ist der Gespannsport als Fahrer also nur eine weitere Stufe der bereits vorhandenen Rennkarriere.
Zudem fehlt die Frühförderung. Im Automobilbereich fangen viele schon im Kindesalter im Kart an, im Motorradbereich starten viele schon als Kinder z.B. im Motocrossbereich. Es gibt immer noch Vereine, die Kinder auf dem Motorrad fördern. Zudem gibt es genug kleine Maschinen, die Kindertauglich sind und mit dem sie bereits starten können, sobald sie halbwegs sicher Fahrrad fahren können. (Mein Zwerg fing mit 6 Jahren an zu fahren. Ich schwankte zwischen Stolz und Kind in Luftpolsterfolie einwickeln hin und her….) Diese Möglichkeit gibt es mit Gespannen so gut wie gar nicht, und wenn, dann ist das die Brut eines Gespannfahrers. Die geben dann tatsächlich alles, um ihre Lieben Kleinen so früh wie möglich zu infizieren. Jetzt ist ein Gespann aber mit keinem von beiden wirklich zu vergleichen, also fängt der geneigte Frischling wieder bei Null an.
Woran könnte das mit den fehlenden Trainingsmöglichkeiten liegen? Das liegt zum einen, wie so oft, am lieben Geld. Gespanne sind teuer. Alte Gespanne sind durch Reparaturen teuer, moderne schlicht durch die eigenwillige Technik, die es nicht zu Massenwarenpreisen gibt. Dann hört es da ja nicht auf, denn so ein Gespann muss ja auch irgendwie zu den Strecken kommen. Dazu braucht es dementsprechende Transportmittel, während ein Motorrad in jeden herkömmlichen Bus oder auf nen kleinen Anhänger passt. Also wird auch da alles etwas voluminöser. Dann geht das nur zu zweit, also auch da wieder mehr Aufwand. Und mal grad testen ist auch so ein Ding. Denn, für Motorradbegeisterte gibt es zig verschiedene Möglichkeiten, sie zu infizieren. Renntrainings, Camps, Motocross, Schräglagentrainings, Kindertrainings, Pocketbikes für die Kleinen, die Auswahl ist schon gar nicht sooo schlecht. Um zu gucken, ob das was ist, gibt es Leihfahrzeuge, irgendjemand im Bekanntenkreis hat immer was für die Lütten zum rumfahren, es gibt genug, um die Kleinen zu testen und zu gucken, ob das was taugt.
Für Gespanne? Fehlanzeige. Da hat kaum einer wirklich Bock drauf (oder die Nerven dafür. ich kann nicht wirklich gut mit Kindern, ich sollte das nicht tun, glaubt mir….) Ganz abgesehen davon, es gibt kaum ausrangierte Renngespanne die sind entweder rollende Historie, Schrott oder weiterhin auf der Strecke unterwegs. Daher fällt auch das Nutzen ausrangierter Gespanne flach. (Hey, fällt mir grad auf, ist das nicht extrem Nachhaltig?)
Kinder sind da maximal im Fahrerlager beim Hin und herfahren erwünscht, der Rest muss auf einen Hof oder einen Feldweg hoffen und einen Verwandten, der vielleicht sogar ein Gespann zusammengebastelt hat, mit dem auch Kinder fahren können. Ansonsten müssen die warten, bis sie alt genug sind, um selber fahren zu dürfen.
Dazu kommt, dass die Trainingsmöglichkeiten rar sind. Freie Trainings sind dann gerne sehr weit weg oder sehr teuer, wahlweise auch hemmungslos überfüllt, weil alles, was drei Räder hat, dort starten will. Oder es gibt ein oder zwei Extra-Turns vor einem Rennwochenende, was dazu führt, dass du vielleicht grad gelernt hast, dass du ein Gespann wirklich um eine Kurve lenken musst und dass das Ding vom Fahren weder was mit nem Auto noch mit nem Motorrad zu tun hat, bevor du ins erste Qualifying gehst. Auch sowas schreckt ab. Die meisten Teams haben kaum Erfahrung, wenn sie in die ersten Rennen gehen. (wir hatten ca 20 km auf der Uhr.)
Weiter sind die Gespanne für den Fahrer angepasst. Auf ein Motorrad passt erst mal nahezu jeder, der nicht riesig oder winzig ist. Die sind als Massenware konzipiert, damit erst mal jeder fahren kann. In ein gutes Gespann passt vor allem mal der Fahrer. Falls dieser Fahrer dann tatsächlich bereit wäre, sein Baby für einen begeisterten Enthusiasten zum Probefahren zur Verfügung zu stellen, dann muss der schon ziemlich die identischen Körpermaße haben, ansonsten hockt er da drin wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Und die kannste halt nicht mal grad schnell anpassen. Dann ist das grad bei den modernen Gespannen empfindliche Fahrwerkstechnik, die es übel nimmt, wenn da irgendwas irgendwo dagegendotzt. Im Youngtimerbereich sind die Fahrer schon eher bereit, mal testen zu lassen, aber auch da eher ungerne, denn, wenn das Ding irgendwo drin hängt, wird auch das wieder, ihr ahnt es, teuer. Außerdem verleihen die meisten Fahrer eher ihre Frau oder ihre Kinder als ihr Gespann.
Es gibt auch da wieder vereinzelt welche, die das machen. Aber das ist eher die Nadel im Heuhaufen. Und der Klassikbereich möchte auch nicht immer für alles herhalten, es reicht, wenn wir diverse Beifahrer anfüttern, die dann recht bald in die höheren Klassen verschwinden, da müssen wir nicht noch für den Fahrernachwuchs sorgen. Das könnt ihr selber machen, wir können uns nicht um alles kümmern.
Also müsste der geneigte Jungfahrer ein Gespann kaufen…..
Und dann brauchen begeisterte Fahranfänger erst mal nen Haufen Geld. Was jetzt jeder Anfang 20 nicht unbedingt in rauen Mengen zur Verfügung hat. Also startet der Gespann-Nachwuchs, in einem Alter, in dem echte Motorradprofis bereits mehrere Meisterschaften durch haben, überhaupt erst in eine eventuelle „Rennkarriere“, schlicht, weil vorher jegliche Möglichkeit gefehlt hat. Also sind die Gespannpiloten in einem Alter, in dem Motorrad- und Autoleute schon an die Rente denken, überhaupt erst erfahren und routiniert genug, um an der Spitze mitfahren zu können.
Natürlich gibt es die Wunderkinder, die schnell lernen und gefördert werden. Da brauche ich allerdings nicht wirklich viele Finger für. Und selbst da ist die Frage, wie lange noch, denn, da dem Gespannsport grundsätzlich die Aufmerksamkeit fehlt, wird das auch nicht ewig währen, wenn sich das Problem nicht bald lösen lässt. Niemand bezahlt junge Sportler aus Spaß an der Freude, jeder Sponsor erwartet irgendwas dafür. Und wenn die Klasse das nicht hergibt, dann wars das auch schnell wieder.
Daher wird die Gespannszene langsam aber sicher sich wieder etwas bemühen müssen, um interessierte Neulinge auch tatsächlich ans Fahren zu kriegen. Die Faszination ist nämlich durchaus da.
Aber in großen und ganzen sind die Gespannfahrer eher wie richtig guter Wein, der braucht halt auch seine Zeit zum reifen…
just my fifty cents.
Eure Frau Dr. Frühling
Text: Hertha Frimberger
Foto: Doreen Müller-Uhlig
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